|
Eine Tataluan
Murut Beerdigung
Aufzeichungen einer Tahol Murut
Beerdigung in Kg Tataluan
by Herman (Januar 2000)
Einführung
Eigentlich hatte ich gar keine richtigen Weihnachts und Neujahrs
Pläne für die Jahrtausendwende. Wie ich noch jünger war, und diese
Wende noch sehr weit weg schien, fast ein mystisches Ereignis,
fantasierte ich natürlich, wie ich diese spezielle Neujahrswende
begehen wollte. Paris? New York? London? Es sollte ein großartiges
Fest werden, unvergesslich, mit Familie und Freunden. Feuerwerk
dürfte nicht fehlen, Konfetti und laute Musik. Aber irgendwann, nach
vielen Neujahrsparties war das gar nicht mehr so wichtig.
2000 rückte immer näher, und ich arbeitete schon lange in Kota
Kinabalu, im Bundesstaat Sabah vom malaisischen Borneo. Hier in
Sabah ist das Leben ewas gemütlicher als im hecktischen Europa, und
die Vorbereitungen für die Jarhtausendwende waren entsprechend
gelassen. Gegen mitte Dezember hatte ich eine wage Idee, mich in den
Norden abzusetzen um Weihnachten und Neujahr mit den Rungus zu
verbringen. Die Rungus sind ein partyfreundliches Volk und die
langen Ferien versprachen ausgelassene Festlichkeiten. Kommt noch
dazu, daß die meisten meiner Freunde noch uralten Naturreligionen
angehören, und Weihnachten eher gemäß römischen Saturnalien feiern
als mit andächtigen Hymnen vor Christbaum mit elektrisch blinkenden
Lichtern. Bei fast 35° C im Schatten ist das auch angebrachter.
Aber dann kam ein Anruf von der Murut Famile, die mich vor einigen
Jahren akzeptiert und adoptiert hatte. Die Mutter lag im Sterben.
Dieser Anruf führte zu einer Serie von Ereignissen, die alles
übertrafen, was ich bis zu diesem Zeitpunkt hier in Borneo erlebt
hatte. Finanziell lies er mich auch um einiges ärmer, denn ich bin
als volles Mitglied dieser Familie anerkannt, mit all den Vor- und
Nachteilen. Jedoch den einzigartigen Einblick den ich in das
traditionelle Leben der Murut bekam ist mehr Wert als alles Geld
dieser Erde. Und am Ende der Ritualien wurde mir ein unglaublich
wertvolles Diadem aus dem Erbe der Verstorbenen überreicht: ein
Strang von antiken Halbedelsteinen, Karnelien aus Indien. Diese
sanft schimmernden, bernsteinfarbenen Halbedelsteine sind bei vielen
Völkern in Borneo äußerst gesucht, werden jdoch selten verkauft. Bei
den Murut werden solche Steine normalerweise von Mutter auf Tochter
vererbt, und nur bei sehr wichtigen Zeremonien getragen. Manchmal
werden die Karnelien, die oft auf das 16. Jht. zurückgehen, auch im
Brautpreis verlangt, und mit zwei antiken chinesischen Vasen könnte
das Diadem, das mir überreicht wurde, schon den halben Brautpreis
ausmachen!
Nach der Beerdigung wurden die wenigen persönlichen Güter der
verstorbenen Mutter unter den Kindern verteilt: einige Goldringe und
Ketten, Armbänder und ein paar antike chinesische Vasen. Nach einer
langen Verhandlung hat jeder der Kinder etwas erhalten, und mir
wurde überraschenderweise das Diadem offeriert. Ich hatte ja nichts
erwartet, aber damit hatte ich auch unterschätzt, wie sehr ernst es
die Murut hier nehmen, wenn jemand in die Familie aufgenommen wird.
Der Anteil, der mir zukam, war mit einer sehr bewegenden Erfahrung
verbunden, und hat die volle Aufnahme in die Sippe bekräftigt, auch
wenn hierzulande keine spezielle Einführungsgebräuche mehr bekannt
sind.
Tot
Am 20. Dezember 1999 erhielt ich einen Anruf von Keningau daß die
Mutter im Sterben liege. “Kami tunggu masa dia – wir warten auf ihre
Zeit,” wurde mir gesagt, “bila kau pulang – wann kommst du nach
Hause?” Die Nachritcht war erschütternd, aber was mich noch mehr
bewegte waren die Worte, die das älteste Kind der Mutter wählte, um
mich zu informieren. Von all den malaisischen Wörtern, die “nach
Hause gehen” bedeuten hatter er “pulang” ausgewählt. Pulang bedeutet
dorthin gehen, wo man sein Haus und Ursprung hat. Es ist der
intimste und persönlichste Ausdruck, und er gab den Ereignissen
Dringlichkeit.
Nicht viel später kam ein Anruf von Albert, einem jüngeren Bruder.
Er flog mit Frau und Kind von Lahad Datu auf der anderen Seite der
Insel, wo er mit der Grenzpolizei stationiert ist, nach Kota
Kinabalu. Sie miteten ein Taxi, holten mich im Büro ab und wir
fuhren sofort nach Keningau.
Ich hatte gar keine richtige Idee, auf was ich mich da einließ. In
meinem Büro hatte ich meinen Rucksack mit zwei t-Shirts, einem
Handtuch und meiner Zahnbürste. Es war keine Zeit um schnell noch
nach Hause zu gehen um mehr zu packen, wir mußten uns sofort
aufmachen.
Keningau ist etwa drei Stunden Autofahrt von Kota Kinabalu, der
Hauptstadt von Sabah. Es war einst eine sehr wohlhabende Stadt die
ihren Reichtum dem Holzschlag verdankte. Aber seit einigen Jahren
gibt es ja keinen Wald mehr und die meisten Sägemühlen wurden still
gelegt. Es bleibt eine relatif gute Infrastruktur, und viele junge
Murut verlassen ihre Dörfer im Landesinneren um in den vielen
Werkstädten in Keningau ein mageres Gehalt zu erwerben. Hier hat es
auch Schulen, Polizei und ein gutes Krankenhaus. Wir fuhren direkt
zum Krankenhaus. Albert war das letzte direkte Familienmitglied, das
eintraf. Es war schon beinahe Dunkel, und alle waren um das
Sterbebett versammelt. Die Mutter öffnete ein letztes Mal ihre Augen.
Sie konnte nicht sprechen, aber sie hatte uns gesehen und erkannt.
Dann schloß sie die Augen. Für immer. Aber das Sterben kam langsam,
und der Doktor erläuterte mir, daß lebenserhaltende Aparate ihr Luft
in die Lungen pumpten um zu verhindern, daß sie erstickt. Die Ärzte
warteten auf den Herzstillstand, und wir taten ihnen gleich.
Es war ein langes und unangenehmes Warten im gedämpften Licht des
stillen Krankenhauses. Die Propeller der riesigen Deckenventilatoren
mischten die dicke, schwach nach Medizien richende Luft ohne Kühlung
zu bieten. Zuweilen hob eine frische Briese die weißen Vorhänge der
Fensterfront, und brachte etwas Erleichterung, aber das monotone
Arbeiten der Luftpumpe, und das gelegentliche Röcheln der Sterbenden
nagte an den Nerven. Wie der Herzstillsand um halb vier in der Früh
dann unverhinderlich eintrat war der Schock des Todes dennoch größer
als Geahnt. Alle direkten Familienmitglieder, inklusive des Vaters
der Verstorbenen waren anwesend und, gemäß Tradition, kündigten den
Tot mit lautem Weinen und Klagen an. Sie starb im Alter von 51.
Todesursache war ein Krebs, den die Ärtzte vor einem Jahr versuchten
zu operieren. Sie hinterläßt ihren Mann und neun Kinder, wovon drei
noch nicht verheiratet sind und zwei noch nicht einmal 15 Jahre alt
sind. Sie hinterläßt auch etwa ein Dutzend Enkelkinder, und ihren
Vater. Sie war sein erstes seiner 34 Kinder mit vier Frauen, wobei
ihre Mutter, die erste Frau ihres Vaters schon lange verblichen ist.
Ich fand es außerordentlich, daß wir um diese Zeit im Krankenhaus
sein durften, nicht nur in solchen Mengen, aber wir veranstalteten
auch noch solch einen Lärm. Natürlich gibt es strenge
Besucherszeiten im Krankenhaus, aber das scheinen immer die Zeiten
zu sein, wenn es am Ruhigsten ist. Zu allen anderen Zeiten ist das
Krankenhaus mit Familien, die sich um die Kranken kümmern, gefüllt,
und Kinder rennen recht vernehmlich zwischen den Betten umher, oder
spielen auf dem Spielplatz neben dem Kreißsaal. Das Krankenhaus mit
seinen langen Fensterfronten ist angenehm durchlüftet, und die
langen, weißen Vorhänge versuchen Moskitos und anderes tropisches
Getier fern zu halten. Doktoren und Schwestern sind freundlich und
lächeln, und die Putzmanschaft schwatzt auch hin und wieder mit
Patienten. Der Gesammteindruck ist der eines sehr „menschlichen“
Krankenhauses, wo auch der typische, antiseptische Krankenhausgeruch,
der alles, inklusive der Moral der Kranken, durchdringt, weitgehend
abwesend ist.
Vorbereitungen für den Todesfall begangen schon über dem Bett der
Sterbenden. Wie sie schließlich verblich ging alles sehr schnell,
ganz un-Murut, die normalerweise sehr gemütlich zur Sache schreiten.
Der Körper wurde in das Leichenhaus gebracht, wo ein chinesischer
Leichenbestatter sich daran machte, die Verstorbene einzubalsamieren.
Der Leichnahm hatte noch eine weite Reise vor sich, und es könnte
Tage dauern, bevor er bestattet werden kann, das Balsamieren hatte
also den Zweck, den Körper im heißen Klima zu erhalten und vom zu
schnellen Verwesen zu bewahren. Riesige Nadeln wurden der Toten
unter die Haut gestoßen um Chemikalien in die Blutbahn zu bringen.
Eine Massage sollte dann den Balsamierungsstoff eben im Körper
verteilen. Eine lange Nadel wurde ebenfalls durch die Nase ins Hirn
gestoßen, und dann wurden Nasen, Mund und Ohren mit Watte
ausgestopft. Wer wollte konnte zuschauen. Dann wurden der Toten neue
Kleider angezogen, und neue Schuhe, die ihr Mann eigens für das
Begräbnis gakauft hatte. Sie waren zu klein, aber es war dem Wittwer
nur wichtig, daß sie neue Schuhe tragen sollte. Dann brachte der
chinesische Leichenbestatter einen einfachen Holzsarg, der mit einer
Plastikdecke und einer Matratze ausgelegt wurde. Schließlich wurde
die Tote in den Sarg gehoben, und der Deckel wurde zugeschoben.
Inzwischen waren eine ganze Menge von Verwandten eingetroffen und
machten einen riesigen Lärm. Dann kam es auch fast noch zu einem
Argument, denn eigentlich hatte die Tote ja verfügt, daß sie
traditionel in einem aus einem Baumstamm gehauenen Hartholzsarg im
Totenhaus ihres Vaters beigelegt werden sollte. Aber da sie in der
Stadt verschied, und das Gesetz schon die schnellstmögliche
Versargung verlangt, hatte die Familie nicht viel andere Wahl. Die
chinesischen Bestattungsunternehmen verdienen sich damit natürlich
eine goldene Nase, denn so ein Sarg, auch ein ganz einfacher, ist
unglaublich teuer: mehr als vier Monatslöhne eines gemeinen
Arbeiters in einer der vielen Fabriken in Keningau.
Aber immerhin, die Verstorbene sollte nun nach Labang, und von dort
nach Tataluan gebracht werden, tief im Landesinnern von Sabah.
Labang ist das Dorf ihres Vaters, Tataluan das ihres Mannes. Fast
unbemerkt hatte sich die Sonne über das Land ausgebreitet, und gegen
acht in der Früh hatte Albert schon einen Landrover der Polizei
organisert. Der Sarg wurde vorsichtig in das Geländefahrzeug gehoben,
denn Labang kann nur mit einem Allradauto erreicht werden. Der
Witter, ein Bruder, ein Polizist mit M16 und der Fahrer machten sich
sofort auf den langen Weg, und es sollte fast den ganzen Tag dauern,
bevor sie in Labang ankommen würden. Wir hatten noch viel Arbeit in
Keningau.
Vorbereitungen
Jemand hatte einen Lastwagen organisiert, und sobald die Läden in
Keningau offen waren gingen wir Nahrungsmittel einkaufen. Der Laster,
normalerweise transportiert er Kies, war bald übervoll mit hunderten
von Kilos Reis und Zucker, Trockennudeln, Kaffee, Speiseöl und
anderen Lebensmitteln, die schwierig und nur sehr teuer im
Landesinneren erhältlich sind. Dann kamen noch einige Dutzend alte
Legehühner, ein paar Perlhühner und eine Trommel voll Benzin für die
Außenbordmotoren der Boote und dem Generator für Licht. Dann ging es
auf den Markt, Gemüse einkaufen. Wir fanden eine Frau aus Kundasang,
der „Gemüsehauptstadt“ von Sabah, die gerade dabei war, ihren
Kleinlaster voll Gemüse auszuladen. Wir hatten einen kurzen Blick
auf die Ware, dann vier Minuten harte Verhandlungen, und die Ladung
war unsere. Die gute Verkäuverin war schon ein bißchen erstaunt,
folgte uns dann aber mit ihrem Kleinlaster zum Haus und half uns,
ihr Gemüse auf den Lastwagen zu laden. So schnell hatte war sie wohl
kaum je von einem ganzen Tag auf dem Markt zuhause...
Gegen Mittag war der Lastwagen voll, und eigentlich hätte ich auch
mit ihm nach Labang gehen sollen, aber meine Freunde fürchteten, daß
es regnen könnte. Das war dann auch der Fall, und der Laster blieb
auf der Strecke, denn die Straße etwa eine Stunde vor Labang war zu
schlüpfrig. Die Ladung wurde also auf dutzende Boote verladen und im
letzten Stück via Fluß nach Labang verfrachtet, und dort die steilen
und verschlammten Ufern hochgehievt.
Einige Familienmittglieder hatten ein Auto, und jeder versuchte
irgendwo einen Platz zu kriegen, aber es waren einfach zu viele. Ich
hatte das „Glück“, mit Devon, einem der älteren Brüder, mitzufahren.
In allem waren wir 14 Leute in seinem Toyota Landcruiser: vier
Brüder, alle mit ihren schwangeren Frauen und ihren Kindern, und
noch zwei Erwachsene, die im Gepäcksteil wortwörtlich verstaut waren.
Zum Glück hatten wir keinen lebenden Proviant an Bord. Ich durfte
auf dem Vordersitz Platz nehmen, neben der Frau von Albert. Ich
hatte einen etwa siebenjährigen Jungen auf meinen Knieen, und
Albert´s Frau stillte ihr Neugeborenes. Albert saß genau hinter mir,
von drei Frauen seiner Brüder gegen die Türe gedrückt. Wenn ich den
Kopf drehte sah es aus wie Mutterschaftssaal vom Krankenhaus: die
drei jungen Frauen, mit entblößten Brüsten, stillten sie alle ein
Kleinkind. Die älteren Kinder standen ihnen zwischen den Beinen, und
alle lächelten mich immer brav an. Nur Devon, der Fahrer war in der
Glücklichen Situation recht viel Bewegungsfreiheit zu genießen, und
er hatte kein Kind zwischen den Beinen.
Aber bevor wir uns auf den Weg machen konnten mußte natürlich das
Auto erst repariert werden. Der Unterhalt des Fahrzeuges wurde immer
wieder aufgeschoben, und nun kam die Rechnung natürlich plötzlich
auf mehrere hundert Ringgits. Eine gebrochene und sehr gefährlich
aussehende Fedeerung mußte komplet ausgewechstelt werden, der Motor
mußte überholt werden und zwei Reifen, ohne auch nur die geringsten
Rillen, mußten neu angekauft werden. Die Reparaturen dauerten
natürlich auch mehr als den halben Tag, und es war Spätnachmittag
wie wir endlich Keningau hinter uns ließen. Alsbald wir auf dem Weg
ins Landesinnere waren fing es auch noch tropenmäßig an zu regnen,
und die sonst angenehm zu fahrende Piste wurde zu einem schlüpfrigen
Schlampfad. Devon fuhr im Schneckentempo, aber das hoffnungslos
überladene Auto schlüpfte ihm immer wieder aus der Kontrolle.
Alsbald es anfing zu schlittern drückte Devon auf die Bremsen, was
natürlich zur Folge hatte, daß das Fahrzeug schleuderte. Ich
offerierte also, das Steuer zu übernehmen. Nicht nur hatte ich ja
zwei neue Reifen für das Auto beigesteuert, ich hatte auch drei
Stunden am Nachmittag geschlafen, was die anderen nicht hatten.
Es war herrlich, im Fahrersitz zu sein. Ein ganzer Sessel für mich,
ohne Kind im Schoß. Aber mein Glück währte nicht lange. Es regnete
zwar stark, und es war stock dunkel, aber die Straße war gar nicht
so schlimm, wie ich dachte, also fuhr ich zügig voran. Ich hatte
aber nicht mit den Frauen gerechnet. Ich fuhr sicherlich nicht mehr
als 50 km/h, das war ihnen zu schnell. Bald war Devon wieder am
Steuer, und das Auto durfte wieder schleudern. Langsam, aber es
schleuderte trotzdem, und oft kamen wir nur ganz knapp an einem
tiefen Graben vorbei. Ich kann mich nicht an das Schleudern gewöhnen,
auch nicht langsam, aber die Frauen im Auto nahmen die haarsteubende
Schlittelfahrt ganz gelassen hin. Aber wehe es wird über 30 km/h
gefahren.... Das Fahrzeug hatte ja auch einen funktionierenden
Vierrad Antrieb, ein kleines Wunder. Aber Devon weigerte sich, den
reinzumachen. Allrad ist hier nur dann gebraucht, wenn das Auto
schon in einem tiefen Loch steckt, oder halbwegs den steilen Hang
runtergerutscht ist. Aber irgendwann hörte ich auf, die verpaßten
Unfälle zu zählen. Ich betete zum sich ausschüttenden Himmel, daß
wir heil und ganz ankommen würden.
Wir fuhren schließlich kurz nach Mitternacht vor dem Langhouse von
Laban ein. Eigentlich hätte das Dorf um diese Zeit ruhig und
friedlich sein sollen, aber alle waren wach und mit den
Begräbnisvorbereitungen beschäftigt. Einige der Männer waren schon
dabei, gemäß der uralten Traditionen, tapai zu trinken.
Nach einer kurzen Nacht, in welcher noch mehr Autos und
Familienmittglieder ankanmen, dämmerte ein bedrückter Tag. Vor dem
Haus wurde eine Kuh geschlachtet, und gegen Mittag gab es
Rindseintopf, Sagobrei, und Reis. Von da an gab es zu jeder Zeit
Essen, und der Strom von Trauergäste ließ nicht mehr nach. Alle
kamen sie, mit Familie, und jede neue Ankunft wurde alsbald von den
lauten, Herz zerreißenden Trauergesänge der Murut begleitet.
Am Nachmittag wurde Albert immer bedrückter weil seine
Schwiegereltern noch nicht angereist waren. Wir organiserten ein
Boot, und nach drei Stunden auf dem Fluß fanden wir ein Auto, das
uns bis ins Dorf seiner Schwiegereltern brachte. Sie hatten schon
vom Ableben der Muter von Albert gehört, und sie waren fertig
gepackt, aber sie hatten keine Transportmöglichkeit. Da ihre
Anwesenheit bei der Bestattung unter dem uralten Gesetz der Murut
unabdingbar war, wußten sie, daß früher oder später sie jemand
abholen kommen würde, also hatten sie sich vorbereitet! Bald waren
wir wieder auf dem Fluß, mit der ganzen Sippe von Alberts
Schwiegereltern.
Alle Verwandten, nah und fern, eines Verstorbenen müssen der
Beerdigung beiwohnen. Einige der Murut Männer haben drei oder vier
Frauen, und alle bringen ihre Kinder, von denen viele schon
verheiratet sind, und die wiederum bringen ihre Schwiegereltern mit
Familie, was die Teilnehmer an Murut Festlichkeiten, sei es
Hochzeiten oder Beerdigungen, exponentiell ansteigen läßt. Die
Schwiegereltern der verheirateten Kinder einer verstorbenen Person
müssen zudem bei der Beerdigung mithelfen, die Kosten zu tragen,
wobei das aber nicht unbedingt mit Geld verbunden ist. Frauen und
Mädchen müßen in der Küche mithelfen, Jungs werden zu Laufburschen
und gehen Feuerholz sammeln und verrichten andere Besorgungen, und
die Männer bringen Gongs und Tapai zu den Festlichkeiten. Viele der
jungen Männer gehen auch jagen, aber ich habe immer so das Gefühl,
daß die Hauptarbeit der Männer dabei besteht, die schier
unglaublichen Mengen von Tapai auszutrinken.
Kurz vor Dunkelheit waren wir mit Alberts Schwiegereltern zurück in
Labang, wo das Longhouse aus den Näten zu bersten drohte. Albert
versicherte mich jedoch: “Das ist noch gar nichts. Warte erst, wenn
wir in Tataluan sind, dort werden so viele Menschen sein, daß du
keinen Platz finden wirst um dich hinzulegen, oder zu schlafen!”
Den nächsten Tag verbrachte ich damit, schlüpfrige Uferbänke mit
Steinguttöpfen voll von Tapai und anderen Viktualien zu meistern und
Boote vollzuladen. Auf dem Fluß fuhren wir den ganzen Weg nach
Tataluan. Der Wasserstand war genau richtig, und somit war es eine
angenehme Fahrt von etwa einer Stunde. Die Eigentliche Totenfeier
war im Longhouse von Tataluan zu feiern, obschon das Haus schon vor
einigen Jahren verlassen wurde. Die Bewohner sind nach Labang und in
die nähere Umgebung dort gezogen, um näher an der Schule, und der
Klinik zu sein. Aber immer noch müssen alle Festlichkeiten –
Namensgebungen, die diversen Etappen in der kompletten und sehr
aufwendigen Murut Hochzeitszeremonie, und Beerdigungen – im
gemeinsamen Longhouse abgehalten werden. Zu diesem Zweck wurde das
Haus neulich sogar verbreitert und es hat eine traditionelle
Schlafplatform für Jungesellen und Besucher erhalten. Diese
Schlafstelle, die tagsüber auch als gemeinsame Arbeitsplatform dient,
hat das Longhouse vervollkommt, denn alle traditionellen Longhouses
hatten früher so eine Platform.
Wir waren nicht die ersten, die in Tataluan ankamen. Lantir, der
Halbbruder des Ehemannes der Verstorbenen war mit seinen zwei Frauen
und knapp 20 Kindern schon seit zwei Tagen dabei, das Gelände um das
Haus vom hohen Gras zu befreien. Er hatte auch die Wasserleitung,
die klares Wasser von einem Bach in den Hügeln ins Haus liefert,
repariert, und Feuer in den Herden in den Küchen geschürt, um die
weniger wilkommenen Bewohner des Insektenreiches aus dem Haus zu
jagen. Dabei fand er auch noch Zeit zum Jagen, und am Abend waren
wir eingeladen, einen halben Hirsch zu essen. Plötzlich fiel uns ein,
daß Heiligabend war. Für mich waren es wohl die verklärtesten
Weihnachten seit ich nicht mehr an den Weichnachtsmann glaube. Da
saß ich, mitten im Dschungel von Borneo, mit einer ganz geschmorten
Hirschflanke, etwas Chilly und Zitrone, ein einfaches Menü aber wert
um die halbe Welt zu reisen. Wir schlugen uns fürchterlich die
Bäuche voll, gemäß guter Murut Sitte. Wieder und wieder wurde ich
aufgefordert, noch mehr zu essen, und sogleich kam wieder ein Teller
voll Reis. Für die Murut hat Überessen praktische Gründe, denn denn
wer weiß ob die Jäger morgen auf der Jagdt wieder so viel Glück
haben? Und ich mußte daran denken, wie selten ich das zum Essen
kriege, also habe ich fröhlich mittgemacht.
Kurz vor Mitternacht, mit schweren Bäuchen, machten wir uns wieder
auf den Weg nach Labang. Der Fluß schimmerte im Vollmondlicht, und
der Dschungel war dicht bei und laut, schwarz und bedrohlich gegen
einen tief blauen Himmel übersät von Sternen. Mir sind Bootsfahrten
in den langen, selbstgemachten und leckenden, oft überfüllten Booten
der Murut in den schäumenden Wassern nie so geheuer. Die rasante
Mitternachtsfahrt, wo man die Gefahren, die Flußwärz laueten, nur
ahnen konnte, hatten dieser Sorte von Sport noch einmal eine ganz
andere Dimension gegeben. Ich vertraue mich einfach ganz den
Bootsleuten an, und schließlich sind wir ja dann auch heil und ohne
Zwischenfälle in Labang angekommen.
Der Körper der Verstorbenen wurde für volle zwei Tage in Labang
aufgebahrt. Erst als noch zu bezahlender Brautpreis beglichen wurde
durften wir ihn nach Tataluan nehmen. Dies war ein eindrückliches
Zeignis von Murut Sitte und Traditionen, und wie lange unter
Umständen für eine Braut bezahlt wird. Es kann über ihren Tod hinaus
gehen. In diesem Falle erinnerte sich die zweite Frau des Vaters der
Verstorbenen ganau, daß sie zur Hochzeit damals noch einen antiken
Gong wollte, der aber nie bezahlt wurde. Bevor diese alte Schuld
nicht beglichen sei, so verlangte sie, würde die Verstorbene das
Haus ihres Vaters nicht verlassen. Brüder und Schwestern machten
sich also auf die Suche nach dem gewünschten Gong, und es ware keine
billige Anschaffung. Dann wiederum sind Murut Festlichkeiten immer
auch zum Vorzeigen von Riechtum da, und es werden alle antiken
Gongs, Keramikvasen und Glasperlen und Halbedelsteine hervorgeholt.
Weil vieles in neuerer Zeit mit Geld ersetzt werden kann werden die
Murut oft als arme Leute bezeichnet.
Schließlich waren alle Schulden bezahlt, und wir durften den Körper
nach Tataluan bringen. Der Sarg wurde aus dem Haus entfernt, was
nicht ohne viel Weinen und lautvollem Klagen geschehen konnte. Dann
wurde er vorsichtig die steile Uferbank von Labang hinuntergetragen,
was speziell schwierig war, denn es hatte wieder geregnet und der
ganze Weg war eine einzige schlüpfrige Lehmbahn. Zwei der Sargträger
verloren auch ihren Halt und platschten ins Wasser, unter dem
Gelächter der Zuschauer. Der Sarg wurde jedoch mit größter Vorsicht
und unbehelligt in ein Boot gelegt. Sieben Boote begleiteten das
Sargboot auf der Fahrt die knapp eine Stunde dauerte, und während
der ganzen Zeit wurde ein monoton und dumpfer, weittragender
Rhythmus auf einem einzelnen Gong geschlagen, der sogar über die
Außenbordmotoren vernehmbar war.
Beerdigungs Sitten
Alle fuhren nun von Labang nach Tataluan, wo sie in Duzenden von
sehr beeindrücklich überladenen Booten ankamen. In Reiseleitern
heißt es von diesen hausgemachten Booten, daß sie „für acht
Erwachsene mit Gepäck“ sind. Sie können aber ohne weiteres mit
doppelt so vielen Erwachsenen beladen werden, und ebensovielen
Kindern, mit Gepäck das so ziemlich alles ist, was die Leute hier
haben. Dann kann man auch noch zwei Zentnersäcke Reis laden, ein
halbes Duzend Keramikvasen mit Tapai, eine Auswahl von Gongs, ein
Gaskocher mit 24kg Gas Tank, ein paar Hunde und Hühner, und was
einem sonst noch einfällt oder wichtig erscheint. Natürlich bleibt
nicht viel Boot über der Wasseroberfläche, aber das ist auch gar
nicht nötig, es ist nur wichtig, daß der, der Wasser schöpft, in top
Form ist, und daß der Bootsfahrer genau weiß, wo die Gefahren im
Fluß liegen. Solche Bootsfahrten sind Gebetszeit für mich.
Das normalerweise verlassene Longhouse von Tataluan wurde so
plötzlich, geradezu gewalttätig ins Leben gerufen, daß es aussah es
wäre nie auch nur einen Tag leergestanden. Sofort war alles wieder
in seinem Platz, und alle arbeiteten. Boote wurden ausgeladen,
Feuerholz wurde gesammelt, Männer kamen schwer beladen mit Wild von
der Jagd, und in den Küchen wurde die Asche nie mehr kalt. Wie aus
dem Nichts kamen auch plötzlich ganze Hühnerfamilien und vergnügten
sich an den Essensresten, die durch die Küchenböden unter das Haus
gefegt wurden. Zeit schien plötzlich zurückgedreht, und das Leben
war komplett. Es erinnerte mich sehr an die lebhaften Beschreibungen
von mittelalterlichem Getue in den Burgen Europas vor langer, langer
Zeit. Wie das Fest seien Höhepunkt erreichte, versuchte ich, die
Menge zu zählen, was aber unmöglich war. Die Menge war in dauernder
Bewegung, aber ich konnte dennoch schätzen, daß etwa vier bis
fünfhundert Erwachsene anwesend waren, und ebensoviele Kinder allen
Alters. So viele Menschen machen natürlich einen ganz ahnsehlichen
Lärm, und in dem etwa 50 Meter langen Longhouse hatte ich manchmal
das Gefühl, in einer U-Bahn Station zu sein, wobei dort die
Menschenverschiebungen mit einer gewissen Systematik vorhergehen. Es
gab selten eine Minute stille, schon gar nicht in der Nacht wenn die
ganzen Kinder in der Gallerie des Longhouses hoch und runter rennen.
Tagsüber tuen sie das am Fluß, und sind aus dem Weg. Um in solchen
Umständen schlafen zu können gibt es nur zwei Lösungen: man kann
trinken bis man umfällt, wobei einen Kater auf dem hüpfenden
Holzboden des Longhouses, unter einem heißen Zinndach zu kurieren
ist nicht Jedermanns beliebteste Form von Selbsbestrafung. Die
andere Lösung ist, diesen atemberaubenden Zirkus, und Beweis
ausschwelgenden Lebens zu akzeptieren.
Als ein angenommenes Familienmitglied hatte ich nicht viele andere
Aufgaben als Trinken und Trauer tragen. Ich verteilte auch generös
die Zigaretten, mit deen ich mich in Keningau gut eingedeckt hatte.
Mir wurde ein Platz im Familien Raum der Verstorbenen zum Schlafen
zugewiesen, aber wir wurden so viele, daß wir oft keinen Platz zum
Ausstrecken hatten, und ich mußte mich an Alberts Worte erinnern. So
blieb ich also oft die ganze Nacht auf und trank mit der
Traugesellschaft. In der Murut Sprache gibt es ein unglaubliches
Wort: angkatawang, welches „trinken vom Abend bis die zum
Sonnenaufgang“ bedeutet, und diese Form von Trinken ist heilige
Tradition bei den Murut. Wenn eine Keramikvase einmal sozusagen
angestochen ist, dann muß sie ausgetrunken werden. Erst dann darf
sie verlassen und ausgewechselt werden. Ganz am Anfang der
Beerdigung war eine kurze Panik, an welche ich nicht glaubte: Devon
gab mir sehr bedrückt zu Bedenken, daß es wahrscheinlich nicht
möglich sein wird, genug Tapai aufzutreiben. Seine Befürchtungen
wahren natürlich unbegründet. Antike, chinesische Keramikvasen und
neuere irdene Töpfe materialisierten sich überall wie von magischer
Hand hingezaubert, und wir konnten nach Lust und Laune angkatawan so
viel wie wir nur konnten. In der Mitte der gemeinen Gallerie des
Longhouses, wo sich ein hölzernes Gerüst, der Sangiang sich wie eine
lange Bank hinzieht, fand eine sich scheinbar selbst erneuernde
Reihe von etwa 50 Töpfen voll von Tapai, und immer ebensoviele
Männer, die davon durch Bambusstrohhalme tranken. Von einem
mittleren Topf kann man im allgemeinen etwa 12 bis 18 Stunden
trinken, von den großen, antiken chinesischen Keramikvasen, von
welchen man im Stehen trinken muß weil sie so hoch sind, kann man
sich schon mal ganze drei Tage betrinken.
Am achten Tag, dem Ende der Bestattung, hatten wir mehr als vier
hundert Töpfe geleert. Jeden zweiten Tag wurde eine Kuh vor dem Haus
geschlachtet, und täglich kamen die Jäger mit riesigen
Wildschweinen, Affen und Fische. Das außerordentliche Jagdglück
verdankten wir, gemäß Murut Mythologie, der Verstorbenen. Eine
Beerdigung ist aufwendig genug, und da die Verstorbene Person ja
nicht will, daß ihre Verwandten darunter leiden, arbeitet sie auch
mit: auf spiritueller Ebene leitet sie Wild vor die Blasrohre der
Jäger.
Essen wird rund um die Uhr vorbereitet. In den größen Küchen, die
sich hinter den einzelnen Familienräumen erstrecken brennen dauernd
Feuer, und gekocht wird in riesigen Kesseln. Drei Mal am Tag, zu
Essenszeiten, koordinieren sich die Frauen aller Haushälter und
tragen wortwörtlich Berge von Essen, in Eimern und auf riesigen
Tablets in die Mitte der Gallerie des Longhouses.
Unser Zimmer ist genau in der Mitte des Longhouses, und es scheint
als eine Art Durchgang für alle zu funktionieren. Es ist ein
Wartezimmer, ein Versammlungsraum, ein Schafzimmer, hier werden den
Babies die Windeln gewechselt, der letzte Tratsch ausgetauscht und
zuweilen essen wir sogar hier. Den Eindruck, daß das Zimmer eine Art
Durchgangsraum ist wird dadurch verstärkt, daß unsere Küche ganz
gemütlich durch zwei andere Küchen durch einen Seiteneingang –
eigentlich ein Loch in der Trennwand aus Baumrinde – erreicht werden
kann, und somit gelangt man ohne über kreuz und quer schlafende
Leute ins Herz des Longhouses, und zum Sangiang, wo der Tapai ist.
Dann ist da noch eine Erweiterung hinter unserer Küche, die man über
eine Brücke, die auch als Waschplatform dient, von unserer Küche aus
erreichen kann. In der Erweiterung leben auch zwei Familien, die
natürlich unseren „Hauseingan“ benützen. Hier wird ohne auf die
Privatsphäre von Familien, ganz zu Schweigen von Einzelpersonen, zu
achtend gebaut, und das macht Hausbau natürlich viel einfacher.
In der Nacht kann die Waschplatform kann auch als Toilette für
größere Geschäfte gebraucht werden. Man kauert sich hinter die
Rindenwand unseres Herdes und zielt scharf duch die weit auseinander
gelegten Planken der Brücke. Sollte jemand unvorhersehens die Brücke
benützen und jemanden so in private Geschäfte verwickelten
antreffen, dann schauen halt beide ganz freundlich in verschiedene
Richtungen. Ansonsten muß man zum Fluß. Im Oberlauf wird gebadet,
etwas weiter unten ist die Toilette, und weil so viele Leute
anwesend sind hat man immer angenehme Gesellschaft. Es gibt Orte, wo
eher die Frauen hingehen, und andere, wo sich die Männer einfinden.
In der Nacht kann das etwas Trickreich sein, und so ist es wirklich
am besten, daß man mit einem Kollegen laut schwatzend zum Fluß geht,
und zusammen den Hintern ins kühle Naß läßt. Jeder, der nachkommt
kann höhren, wo Leute nicht gestört werden wollen.
Tage, Nächte, Essen, Trinken, alles verwischte sich nach ein paar
Tagen, und ich verlor gegliches Zeitgefühl. Ich bleib tagsüber
meistens im Longhouse, wo es schattig und eher kühl wahr, und ich
versuchte jeweils, genug weit weg vom Tapai zu sein, jedoch nahe
beim Essen. Ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Jeder wollte
mich einladen, obschon das gar nicht nötig war. Aber ich endete
jeden Tag mit mindestens sieben Mahlzeiten, die Folgen davon merkte
ich, wie nach der Feier aus meinem Sarong schlüpfte und wieder Hosen
anziehen mußte um in die Zivilisation zurückzukehren.
Am achten Tag war das Grab fertig. Früher hatten die Murut ihre
Toten nicht begraben. Sie wurden in wertvollen, antiken chinesischen
Keramikvasen im Totenhaus der Ahnen aufbewahrt. Seit neuerer Zeit
werden allerdings auch etwa einen Meter tiefe Grabstätten
ausgehoben, mit Beton ausgelegt, und nachdem der Sarg hineningelegt
wurde, mit einem Betondeckel versiegelt. Die Mutter erhielt gegen
ihren Willen ein solches Grab, und einige Familienmittglieder waren
nicht sehr zufrieden. Aber die Zeiten ändern sich schnell. Hatte man
früher keinen chinesischen Topf konnte man auch einen Sarg aus
Hartholz machen, und den ins Grabhaus bringen, aber auch Hartholz
ist immer seltener und die billigen Särge halten nicht sehr lange.
Es wäre dem Toten gegenüber nicht sehr respektvoll, ihn in einem
Totenhaus in einem schnell rottenden Sarg verwesen zu lassen. Zudem
eignen sich die neuen Gräber besser gegen Grabraub und Schändung,
denn die Murut geben den Verstorbenen manchmal Grabesmittgaben, die
auf dem Antiquitätenmarkt teuer gehandelt werden.
In der Tat, die Zeiten ändern sich so schnell, daß erst drei der
Tataluan Gemeinschaft so begraben wurden. Es wurde auch lammentiert,
daß das Begräbnis viel zu hecktisch abgehalten wurde. Der Körper
wurde nur acht Tage aufgebart. Wäre in alten Zeiten jemand in dieser
Saison gestorben dann hätte man noch mehr als einen Monat auf die
Reisernte warten müssen um die Festlichkeiten zu begehen. In dieser
Zeit wäre der Leichnahm im Haus geblieben, bewacht vom weiß
gekleideten, verbleibenden Partner, der nicht aus dem Haus darf,
nicht einmal zum Badem im Fluß!
Bestattung
Die Entfernung des Leichnahmes aus dem Haus, und sein letzter Weg
zum Grab ist der dramatische Höhepunkt der
Beerdigungsfeierlichkeiten. Wieder und wieder wird der Sarg
geöffnet, damit alle noch einmal einen Blick auf die Tote werfen
können. Mir wurde auch gesagt, daß dies oft nicht ein schooner
Anblick ist, speziell wenn die Feierlichkeiten über Monate hinweg
dauerten.
Wie der Sarg aufgehoben wird werden antike Gongs geschlagen. Der
Todesrhythmus ist so alt wie Menschengedenken, monoton,
unheilschwanger, magisch. Was für die Europäer die Kirchenglocken
sind, das sind für die Stämme auf Borneo die Gongs. Aber die
Kirchenglocken sind immer weit weg. Die Gongs werden unter der Menge
geschlagen, und ihr Dröhnen erfaßt jeden sofort. Es fängt im Magen
an. Dann arbeiten sich die Schwingungen zum Herz vor, faßen es hart
in den ewigen Rhythmen und breiten sich über den ganzen Körper aus.
Schließlich gelangen sie an die Kehle und drohen zu ersticken. Genau
in dem Moment ertönen die haarsträubend, und doch so wundervollen
Klagelieder über den Fluß. Diese schrecklich traurig jammernden
Weheklagen, die sich langsam im dichten Wald verlieren erzählen und
preisen das Leben der Vertorbenen.
Es war instantes Chaos, und es war unmöglich, nicht bewegt zu sein.
Nur die nächsten Verwandten gehen mit zum Grab, welches etwa fünf
Minuten flußwärtz vom Longhouse auf einem Familienfriedhof errichtet
wurde. Diejenigen, die das Grab geschaufelt haben, schon warten. Der
Sarg wird ein letztes Mal über die steilen Ufer getragen und
schließlich in das Grab gelassen. Erst dann wird zugenagelt.
Grabbeigaben werden beigelegt, und die Stätte wird versiegelt. Da
sehr viele Leute mithelfen geht die Arbeit sehr schnell voran. Über
dem Grab wird ein Dach aufgebaut, in Nachahmung der einst
wunderschon verzierten Grabhütten der Murut. Einige Gebete werden
gesprochen, und einige Charms werden plaziert, und schließlich geht
die ganze Grabgesellschaft zusammen zurück zum Longhouse. Es ist
wichtig, daß alle zusammen bleiben, denn wenn man von dieser Arbeit
zurückkommt, könnten einem trotz der Charms noch etwaige bösgesinnte
Geister mitgefolgt sein. Damit denen den Garaus gemacht wird fängt
sofort eine enorme Wasserschlacht bei der Rückkehr der Grabgänger
an, gleich am Ufer. Die, die im Longhouse zurückgeblieben sind haben
sich mit Eimern, Tellern und Kanistern bewaffnet, und übergießen die
Ankömlinge. Es ist eine wilde Schlacht, bei der wortwörtlich kein
Auge trocken bleibt. Und der Druck der Beerdigung ist aufgehoben, so
wie alle Taboos. Nach der Schlacht sind alle triefend naß, aber alle
haben wieder fröhliche Gesichter und man geht mit neuem Elan in die
Festlichkeiten, die nun allen Anschein von ausgelassenen Feiern
haben, und gar nichts von Beerdigung. Erst jetzt dürfen die Gongs
geschlagen werden. Kasettenrekorder werden hergebracht, der
Generator wird am hellichten Tag angeworfen, und von überall ertönt
Musik und Lachen. Das Feiern, Essen und Trinken scheint nun erst
richtig anzufangen. Aber im Haus der Verstorbenen kehrt
vergleichsweise Ruhe ein, für einen Moment. Die Familie der
Verstorbenen hat ihre Pflicht getan, und wenn die Leute weiterfeiern
wollen tun sie dies nun auf eigene Kosten. Die wenigen Besitztümer
der Mutter, Goldringe und Ketten, einige Beads und antike Vasen, ein
paar Gongs, werden nun unter der Familie verteilt. Diejenigen, die
gekommen sind, um zu Helfen – gezwungenerweise, so wie zum Beispiel
Alberts Schwiegereltern – die kriegen nun alle ihren Anteil in
Tonvasen und Sarongstoffen, eingelegtes Schweinefleisch, und auch
Reis, alles was Leute zur Beerdigung mitgebracht haben.
Die Murut Gesellschaft besteht immer noch auf die Werte der
Vorväter, und in einer traditionellen Umgebung hat das schon seit
Jahrtausenden hervorragend funktioniert. Die Gesellschaft legt auch
noch sehr viel Wert auf Familienzusammengehörigkeit, weniger auf
Individualität. Aber Geld, Fernsehen und Regierung, und natürlich
auch missionarische Einflüsse der verschiedenen großen Religionen,
die das animistische Treiben der Eingeborenen rund um die Welt
regelrecht verteufeln, haben schon viel geändert. Inzwischen sind
solche Feiern sehr selten geworden, denn sie sind sehr teuer. Geld
is auch hier nicht mehr wegzudenken. Dazu müssen Leute arbeiten, und
wer kann regelmäßig ein paar Monate frei machen, nur um zu feiern?
Nun, die Murut...
Nachtrag
Der Wittwer verbrachte ein paar Monate im Longhouse von Tataluan,
mit einigen seiner Brüder und anderen Verwandten. Die Reisfelder
mußten gejätet werden, und viele Murut zogen in die Hügel, um in den
Reisfeldern zu leben und die Ernte vor Schädlingen zu schützen.
Gerade Wildschweine können seriöse Einbußen verursachen. Dies ist
eine der wunderschönsten Zeiten im Leben vieler Murut, speziell
junger Männer. Man ist frei und ungebunden, geht jagen und badet
jeden Tag im Fluß. Es ist auch eine Zeit, wenn Tapai gemacht – und
getrunken – wird.
Nach der Ernte, welche vorallem von Frauen bestritten wird, ziehen
die Murut wieder in die Longhouses, zum Rest der Familie. Der
Wittwer lebte eine Zeit in Labang, bei seinen Schwiegereltern, wobei
eine Schwester der Verstorbenen sich sehr um sein Wohlergehen
kümmerte, und ihm sogar eine neue Frau suchte. Genau sechs Monate
nach dem Ableben seiner ersten Frau, und der korrekten Trauerzeit,
hatte er sich wieder mit einer jungen Wittwe verheiratet. Damit
hatte er erfolgreich seine Familie erweitert, und jedes Jahr kommt
jetzt noch ein neues Kind, während seine Söhne und Töchter aus
erster Ehe schon kräftig dabei sind, die Tataluan Sippe vor dem
Aussterben zu bewahren.
|
|
All features are original scholarship
works and copyrighted. Please contact us for the use of the material.
|